Der alte X hat fast sein ganzes fleißiges Arbeitsleben lang drunten in der Sägerei vom Bäuerle geschafft, da, wo wegen dem Wirtschaftswunder in den Fünfzigerjahren die Wiesenkapelle vom Bäuerle aus Platzgründen abgerissen und droben im Weingarten in zeitgenössischer Form neu aufgebaut worden ist.
Der alte X wohnte nicht weit weg von der Sägerei – schräg rüber von der Ottilienkapelle. Und weil er nicht weit hatte – und in der Sägerei hätte man’s ja eh weggeworfen – nahm er jeden Tag, den Gott gab, sein Ledertäschle, in dem er das Vesper ins Geschäft mitnahm, voll mit Abfallholz mit nach Hause. Gemerkt hat das niemand außer der Heiligen Ottilie, weil die ja die Heilige der Augenkranken ist und deshalb besonders gut sieht. Sie musste aber beide Augen zugedrückt haben, denn das ging 30 Jahre lang so – oder mehr. Tag für Tag hatte der alte X sein altes Ledertäschle voll mit Wegschmeißholz nach Hause getragen, und niemand hat was gemerkt. Was war auch schon dabei?
Eines Tages aber, oder eines gut geheizten Winterabends besser,
sagte der alte X zu seinem Weib: „Also dees mit dem Hoolz…, jetz isch dees fei
scho a ganzr Giedrwaaga voll Hoolz, was i dao so em Lauf vo deane 30 Jaohr vom
Bäuerle hoimgnomma hao“… sodaß dem guten Weib schlagartig und drastisch das
ganze Ausmaß des „Diebstahls in Raten“ bewusst wurde. Und sie erschrak darob
mächtig.
„Waas, n ganza Giedrwaaga voll Hoolz hasch Du dem Bäuerle weggnomma – oder
„gschdohla“ ka m’r dao scho saga – so haon’i dees fei no gar et gsäa. I
däd moina, dasses jetz doch langsam an dr Zeit wär, dass Du dees oosarem Pfarr
beichda duascht, daß mir oos et dr Sünd fürchda müaßat – dees keed oos sooschd
amaol em Heeml übl aschtanda.“
Es war zwar jeden Tag bloß „oi Däschle“ voll Holz gewesen, aber das ergab zusammen über die 30 Jahre eben doch 10.000 „Däschle“ voll Holz, und das ist halt ein ganzer Güterwagen voll . . . das konnte man drehen und wenden wie man wollte.
Am nächsten Sonntag fasste sich der alte X schweren Herzens ein
Herz, ging in die Beicht und sagte zum Pfarrer: „Pfarr“, sagte er, „ i hao ’m
Bäuerle aus seim Sägwerk an ganza Giedrwaaga voll Abfallhoolz geschdohla. Es dud
mr schrecklich loid, aber i kao’s’m nemme zurückgäa, weil i hao dees älls em
Wendr f’rschiert.
Abr i wollt den Herr Pfarr halt vielmaols drom bitta, daß dr Herr Pfarr a guats
Wörtle em Heeml für me eilegt, dasses mir’s dao et gar so arg ens Gwicht fällt“.
Zuerst herrschte Totenstille im Beichtstuhl.
Alsdann hörte man den Pfarr tief Luft holen und sagen: Lieber Bruder X, der Du
bist. Du hast eine große Sünde begangen. Aber, im Vertrauen, Bruder X - s’hot
zwar koin Arma troffa - aber sag einetwegen an, weshalb musstest Du auch gleich
einen ganzen Güterwagen voll des Holzes entwenden? Schaffest Du nicht seit 30
Jahren bei dieser Firma, und hättest Du nicht ebenso gut nur Tag für Tag und
jeden Tag ein kleines Täschle voll des Holzes mit nach Hause nehmen können, auf
daß niemand es gewahr würde. So hätte sich der verruchte Diebstahl auf der Jahre
dreißig verteilet, wodurch auch dem Bäuerle mit nichten ein so großer Schaden
zugefüget worden wäre, alldieweilen es Dir auf diese Weise eh keiner arg
verarget hätte. So siehe Dich also in der Zukunft besser vor und handle nach den
göttlichen Geboten: Du sollst nicht stehlen das Holz güterwagenweise, und sei
fortan eingedenk der alten schwäbischen Weisheit: Auch Kleinvieh machet Mist.“
So oder ähnlich sprach der Pfarr.
Dem alten X hat es schier die Stimme verschlagen, was nicht oft vorgekommen ist in seinem langen Leben. So machte er sich erleichtert auf den Heimweg und berichtete seinem treuen Weib, was der Pfarr ihm geraten, nämlich, daß er das Holz nicht solle güterwagenweise, sondern nur täschlesweise mitnehmen, - ganz wie er ja getan.
Und also verfuhr der alte X auch fürderhin als wie der Pfarr es ihn geheißen, bis hin zu seinem wohlverdienten Ruhestande.