Serie „Oberkochen - Geschichte, Landschaft, Alltag“

 

Bericht 64
 

Der Steinbruch im Loach und das Feldkreuz an der Langerthalde

Um den Langertbrunnen - heute gefaßt - hat es vor dem Bau der Heidestraße (Baubeginn 18.6.1969 - Einweihung 14.10.1970) im »Loach« ganz anders ausgesehen. Viele Meter hoch wurde das Gelände bei der ersten Heidestraßenkurve aufgeschüttet. Die beiden Punkthäuser stehen unweit über dem ehemaligen Steinbruch, der im Unterkochener Heimatbuch von 1954 - ein neues wird noch in diesem Jahr erscheinen - auf Seite 167 abgebildet und folgendermaßen beschrieben ist: Gebankte Kalke (Weißjura-beta) oberhalb des Langertbrunnens im Wolfertstal.

Mit dem Steinbruch verschwand eine ganze Reihe von Spuren Oberkochener Geschichte, - keine weltbewegende natürlich, aber immerhin interessante kleine Mosaiksteinchen dazu.

Noch während der Bauabschnitt »Wolfertstal II« entstand, also in der 2. Hälfte der Sechzigerjahre, wurde eben dieser Steinbruch von der Firma Carl Zeiss zum Verbrennen von Papier und Verpackungsmaterial genutzt, - selbstverständlich mit Einverständnis der dafür zuständigen Stellen. Man sah das damals noch nicht so kritisch wie heute, - dennoch hatte der Steinbruch im Volksmund seinen Spitznamen »CZ-Krematorium«.

Im Zuge der fortschreitenden Bebauung des Wolfertstals wurde die Verbrennungsanlage im Steinbruch im »Loach« geschlossen.

Während des 2. Weltkriegs war der Steinbruch im »Loach« auf ganz andere Weise genutzt worden. Diese Geschichte erfuhr ich von Herrn Kasimir Hug, - sie wurde von mehreren Seiten bestätigt und von einem anderen Altoberkochener durch detaillierte Erzählung ergänzt.

So lautet der Bericht:
Etwas über dem Langertal, das den Steinbruch im Loach von der Langerthalde trennt steht, leicht über der Talsohle rechts am Weg, der über die Felder zum Waldrand unterhalb des Langertsteins führt, steht ein von einer Hecke umwachsenes Feldkreuz. An seiner Stelle hat während des Kriegs ein Schießhäuschen gestanden, von dem aus in den Steinbruch geschossen wurde, - und zwar aus folgendem Grund:

Die Firma WIGO (1890 - 1984, Wilhelm Grupp, Oberkochen, - ursprünglich in der Herstellung von Holz-, später von Metallbearbeitenden Maschinen), stellte, wie zwei weitere Oberkochener Betriebe, in den Dreißigerjahren auf Rüstung um. Unter anderem stellte die Firma Lafetten für Bordgeschütze der ME 109 (Messerschmitt) her, - ein Jagdflugzeug, bei dem die beiden Bordkanonen links und rechts unter die Tragflächen aufgehängt waren (2-cm-Geschütze). Die Geschütze wurden vom Pilotensitz aus bedient und reagierten selbstverständlich auf exakt oder weniger exakt justierte Rückstoßneutralisierung besonders hochempfindlich.

Den Rückstoßauffang zu optimieren, gehörte mit in den Aufgabenbereich der Firma WIGO, - und es war Ehrensache, daß nur Lafetten mit optimal eingestellter Rückstoßbremse hinausgingen; es war keineswegs so, daß es keine Konkurrenz gab, - es gab sie später sogar in Oberkochen (Firma Bäuerle, 1860 - 1974).

Diese sogenannten Bremszylinder, die über ein Konussystem funktionierten, das man, um beste Ergebnisse zu erzielen, in einer Versuchsschußserie anziehen oder lockern mußte, je nach Ergebnisaufzeichnung, wurden in der Firma eingebaut und draußen im Steinbruch bei den Langertquellen justiert.

Das Schießhäuschen befand sich, vom Wolfertstal aus gesehen, auf der linken Langerttalseite bei dem dort heute befindlichen Kruzifix. Die eingewachsene Betonumfassung des Kreuzes soll dem Grundriß des seinerzeitigen Schießhäuschens entsprechen.

Eine Schußserie bestand in der Regel aus 5 Schüssen, die kurz hintereinander abgegeben wurden. Geschossen wurde, übers Langerttal hinweg, in eben diesen Steinbruch, der demzufolge nicht als Zielscheibe diente, sondern lediglich als »Kugelfang«. Man muß sich den mit dieser Aufgabe betrauten Mitarbeiter der WIGO vorstellen, wie er in der rechten Hand das Druckmeßgerät hielt, das die Ausschläge, ähnlich wie bei einer EKG-Aufzeichnung, mitschrieb, - und in der linken Hand den Auslöser für die Schußserie. Die Toleranz für ein optimales Ergebnis war ungemein gering. Wenn nach der 5-Schuß-Serie die optimale Stellung ermittelt war, wurde die Position mit einer Stellschraube, die versplintet wurde, fixiert.

Gelegentlich habe der Auftrag auch »Test auf Dauerbelastung« gelautet. In diesem Fall seien dann mindestens 20 Schuß unmittelbar hintereinander abgegeben worden. Pro Tag seien 600, 700, ja bis zu 800 Schuß in den Steinbruch gejagt worden, - keine Sprengpatronen natürlich.

Einer der führenden Köpfe der Firma WIGO, ein Oberingenieur Wilhelm Haspel, (Wilhelm Haspel kandidierte 1947, nach dem Krieg, auf der Liste der Unabhängigen Freien Wählervereinigung für den Gemeinderat und wurde für eine Amtsperiode von 4 Jahren in den Oberkochener Gemeinderat gewählt) hat dann um die Mitte des 2. Weltkriegs ein Prinzip entwickelt, nach welchem die Justierung mittels Luftdruck in der Firma selbst vorgenommen werden konnte. Der Vorgang der Schußserie wurde pneumatisch simuliert. Herr Haspel erhielt für diese Erfindung eine Auszeichnung des Reichsluftfahrtministeriums.

In Betrieb war die Anlage bereits ab 1939 und mindestens bis Mitte 1943, - möglicherweise noch einiges länger, denn auch noch nach Haspels Erfindung wurde die Endabnahme im Steinbruch vorgenommen.

In den späteren Kriegsjahren sind, so unser Informant, in zunehmendem Maße als Hilfskräfte für die Lafettenüberprüfungen auch Kriegsgefangene, - Franzosen und Russen, - eingesetzt worden. Wegen der Konkurrenz habe man in Schichten zunehmend Tag und Nacht »durchgeschossen«. Einmal sei sogar im Ort rügend registriert worden, daß nachts zwischen Mitternacht und 2 Uhr morgens nicht geschossen worden sei. Ob man's »nicht nötig« habe, sei gefragt worden. So grausig geräuschvoll könne es andererseits nicht gewesen sein, denn ein Uraltopa, akustisch topfit, habe dicht beim Steinbruch sein Mittagsschläfle absolviert, in einem Heuhaufen, - ungestört. Absolut sachverständiger Gast bei der Schießerei sei auch der katholische Pfarrer Jans (1936 bis 1948) gewesen, der eines Tages aufgekreuzt sei und gefragt habe, ob es erlaubt sei, hier einmal zuzuschauen. Das sei ihm mit der Bemerkung »was ama aschtändiga Franzosa erlaubt isch, des isch au ama aschtändiga Deutscha erlaubt«, gestattet worden. Der Pfarrer habe hervorragendes technisches Verständnis bewiesen. Mit dem gesamtheitlichen Hintergrund des Vorgangs als solchem habe er allerdings weniger in Einklang gestanden. Der Herr Pfarrer habe sich dann bei dem Aufsichtsführenden mit einer Zigarre bedankt, - und der Franzose habe gesagt »Nix gutt Pfarrer, - nur Dir geben Zigarre, nix mir«. Der Zugang zu dem Versuchsgelände sei übrigens alles andere als hermetisch abgeriegelt gewesen. Diese Aussage wurde auch von anderer Seite bestätigt.

Daß an der Stelle des Schießhäuschens nach dem Krieg (lt. BuG vom 14.9.1973 im Jahre 1946, lt. im Fußteil des Kreuzstammes durch Kerbschnitt eingebracht, im Jahre 1948) auf Initiative der Familie Anton Balle sen. aus Dankbarkeit für die gesunde Rückkehr des Sohnes Josef Balle aus dem Krieg das Feldkreuz an der Langerthalde errichtet wurde, wissen nur noch wenige. Es wird erzählt, daß Position und Abmessungen des Schießhäuschens der Betoneinfassung der Anlage (ca. 4 m breit und 5 m lang) entsprechen. Bei genauer Betrachtung des uns von Herrn Stadtbaumeister a.D. Helmut Kranz zur Verfügung gestellten Fotos aus dem Jahre 1956 muß man zu dem Schluß kommen, daß die heute von unten her doch ziemlich markante Betoneinfassung auf dem Foto eigentlich zu sehen sein müßte. Möglicherweise ist sie auf dem alten Grundriß zu einer späteren Zeit aufgeführt worden. Herr Stelzenmüller hat einen Spezialabzug vom Negativ gefertigt, damit auch der letzte Millimeter, den das Negativ vom angeschnittenen Steinbruch, den man rechts des Kreuzes auf der anderen Talseite sieht, hergibt, zu erkennen ist. Der Grund, auf dem das Kreuz steht, befindet sich heute in städtischem Besitz, wogegen sich das Kreuz selbst im Besitz der Familie Anton Balle befindet.

In der Beschreibung Oberkochener Gedenk- und Feldkreuze im Amtsblatt BuG vom 14.9.1973 fehlt der Hinweis darauf, aus und auf welchem Grund das Feldkreuz an der Langerthalde errichtet wurde. Pfarrer Jans, der das Kreuz weihte, und die, die es errichtet haben, dachten daran. Der Steinbruchbericht gehört zur Geschichte des Kreuzes.

Nicht nur die Geschichte des Kreuzes, sondern auch die Steinbruchgeschichte ist in Vergessenheit geraten. Bei der Polizei wurden nach dem Krieg hin und wieder dort gefundene Munitionsteile abgeliefert. Die Finder, die auf Spuren von 2. WK-Kampfgeschehen gestoßen zu sein wähnten, konnten beruhigt werden.

Alles hat seine zwei Seiten. Der Schlußkommentar eines unserer Informanten war: »Wissat's, - so schlemm isch dees fei net, wenn sodde Gschichta en Vrgässahoit graotat«. In Vergessenheit geraten sollten sie nicht. Aber »begraben« sind die direkten Spuren im wahrsten Sinne des Wortes.

Das Kreuz wird auch an die Hintergründe dieser Geschichte erinnern, - und auch daran, daß ein gefangener Franzose Lafetten zu justieren hatte, - für deutsche Bordkanonen, mit denen dann auf Franzosen geschossen wurde.

Der Heimatverein ist dankbar für weitere Hinweise im Zusammenhang mit Kreuzen auf Oberkochener Gemarkung. Unsere Mitglieder Horst Frank (Hölderlinweg 10, Telefon 8666, und Eugen Gentner, Weingartenstraße 66, Telefon 7535) haben sich bereit erklärt, die Geschichte der Kreuze aufzuarbeiten. Ein detaillierter Fragebogen kann von Interessenten bei ihnen oder an der Rathauspforte angefordert werden.

Nachtrag zum Bericht Nr. 64
Der Druckfehlerteufel hat uns wieder einmal einen Streich gespielt. Das Jagdflugzeug, für welches die Bordkanonenlafetten bei der Firma WIGO gefertigt wurden, war die ME 109. So lautete die Information, - und so steht es auch im Manuskript das an die Druckerei geliefert wurde. Gleich zwei Fachleute haben die verdruckfehlerte falsche Zahl bemängelt, - sie soll hier nicht noch einmal genannt werden.

Dietrich Bantel

 
 
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